Thank you, Birgit Senger!

Nicole Wheadon im Gespräch mit Birgit Senger (imsalon.de)

Nicole Wheadon: Die Wertung von Berufen muss neu strukturiert werden – weg von „studiert“ und „nicht studiert“

Work-Life-Balance ist ihr Unwort, dennoch setzt die Berliner Unternehmerin des Jahres 2021 auf flexible Arbeitszeiten und neue Geschäftskonzepte mit ihrem Beauty Concept Store…

Ihre 3 G‘s sind die des persönlichen Wohlfühlens: gesehen, gefordert und gefördert! Nicole Wheadon gelingt mit ihrem holistischen Beauty Concept Store „Wheadon“ in Berlin Mitte die Wahl zur Unternehmerin des Jahres 2020/21. In der Corona-Krise sieht sie die Chance, den absurden Abi-Zwang zu verdrängen und macht Wertedenken zum Politikum. Flexible Arbeitszeitgestaltung regeln die Mitarbeiter selbst, obwohl „Work-Life-Balance“ das persönliche Unwort ihrer Chefin ist.

Im Gespräch mit Birgit Senger

Herzlichen Glückwunsch, Sie haben mit ihrem Unternehmen“WHEADON wohlfühlen ist hautsache”, einem Beauty Conzept Store den Preis zur Unternehmerin 2020/21 gewonnen. Wie geht es Ihnen heute?
Nicole Wheadon:
 Im Moment sehr gut, ich komme gerade vom See. Die Herausforderung von Covid-19 fühlt sich manchmal noch negativ an. Aber in jeder Herausforderung steckt etwas Positives!

Was ist das Positive für Sie?
NW:
 Eine Neustrukturierung des Geschäftes, eine Aufwertung der Dienstleistung. Ich sehe eine Chance, das Schulsystem weg vom absurden Abi-Zwang, hin zu alternativen Bildungswegen, z.B. ein Handwerk zu erlernen, zu bringen. Ich hoffe, dass die Wertung von Berufen neu strukturiert und nicht mehr nach „studiert“ oder „nicht studiert“ eingestuft wird.

Im Rahmen der Selbstverwirklichung verstehen immer mehr Menschen, dass Beruf von Berufung kommt. Ich denke, ein Beruf sollte nicht anstrengend sein. Und er ist es dann nicht, wenn man sich dazu berufen fühlt. Das große Schlagwort „Work–Life–Balance“ ist für mich ein Unwort, denn 80 Prozent meines Lebens verbringe ich mit der Arbeit. Ich bin kein Freund von Selbstausbeutung, das bitte nicht falsch verstehen! Aber etwas tun, bei dem man keine Freude empfindet, sollte man tunlichst meiden. Bereits in der Schule sollte vermittelt werden, sich selbst mehr wert zu sein. Stattdessen werden im Schul- und Ausbildungssystem aus Affen Giraffen und aus Giraffen Affen gemacht. Das hat leider nichts mit Förderung und Begeisterung am Lernen zu tun.

Wie kann man junge Menschen wieder für das Handwerk begeistern?
NW:
(Lacht) Na ja, indem man Affen Affen sein lässt und Giraffen Giraffen! Es muss sich grundsätzlich etwas ändern, und zwar mehr Freude am Lernen zu fördern und weg von der Bewertung durch Noten.

Welche Erinnerung haben Sie an ihre Lehrzeit?
NW:
 Ich bin um meine Lehrzeit sehr froh. Ich habe dort gelernt zu arbeiten und an meine Grenzen zu gehen, meinen Kopf zu hinterfragen und mir Möglichkeiten zu schaffen. Ich weiß nicht, wie die Leute glauben können, eine praxisbezogene Ausbildung sei weniger wert oder eher was für Doofe. Für mich hat das duale Ausbildungssystem viele Vorteile, nicht ohne Grund streben Länder wie die USA danach, es einzuführen.

Welche Möglichkeiten hat man nach einer Ausbildungs in Ihrem Geschäft?
NW:
 Man kann überall arbeiten. Bei Film, Fotoshooting, Hochzeiten, Produktionen oder ein eigenes Unternehmen gründen.

Wir reden im Moment sehr viel von Wertschätzung, die uns entgegengebracht wird. Ihr Ansatz ist auch zu hinterfragen, was ist mir mein Job wert? Wie viel Zeit bin ich bereit zu investieren, wie viel Geld möchte ich verdienen, wie viel Freude soll er mir bringen? etc. …
NW: 
Genau. Vielleicht ist es auch sinnvoll zu fragen, wie viel Geld brauche ich eigentlich für meine persönliche Zufriedenheit?Was bin ich für ein Mensch? Was macht mich persönlich zufrieden? Viele Menschen möchten nicht mehr Vollzeit arbeiten. Die Tendenz geht zur 4 –Tage Woche.

Gibt es in Ihrem Unternehmen eine 4– Tage Woche?
NW:
 Bei mir können die Leute so viel arbeiten, wie sie wollen. Ich habe nichts davon, unflexibel zu sein, es ist schon schwer genug, Leute zu finden. Aber um Ihre Frage zu beantworten: JA, SELBSTVERSTÄNDLICH! Ich möchte, dass sich meine Mitarbeiter ihre Arbeitszeit selbst einteilen können. Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass sie keine Freizeit haben.

Achtsamkeit als Teil Ihres Salonkonzeptes
NW:
 Ich wollte mit „Wheadon“ einen Ort schaffen, an dem alle sich wohlfühlen, denn nur wer sich wohlfühlt, kann das an die Gäste weitergeben.Das heißt allerdings nicht, dass ich mit Wattebällchen um mich werfe, mit Handtüchern wedele und Kräutertee-Blabla. Menschen müssen sich selbst gegenüber anspruchsvoll sein, sonst fühlen sie sich bei uns per se nicht wohl.

Was bedeutet für Sie wohlfühlen?
NW:
 Für mich bedeutet wohlfühlen: sich gesehen, gefordert und gefördert fühlen.

Was zeichnet Wheadon aus?
NW:
 Wir sind ein holistisches Beauty Conzept, das offline und online arbeitet. Mit wiederkehrenden Quick Beauty Treats für Augenbrauen, Gesicht und Haare, einem Barbier und Frauenfriseur und einem Reset Spa, der Körper, Gesicht und Geist miteinander verbindet. Das Ganze unterstützen wir in Workshops auch außerhalb des Geschäftes und sind gleichzeitig Showroom für kleine feine Marken, die unser Wertedenken teilen: Durch bewussten Konsum politisch zu sein, denn bei jedem Euro, den wir ausgeben, zeigen wir, wofür wir stehen.

Was hat Sie motiviert am Wettbewerb zur Unternehmerin des Jahres teilzunehmen?
NW:
 Hätte es Corona nicht gegeben, hätte ich mich wahrscheinlich nie beworben. In einem normalen Geschäftsjahr bin ich zu 100 Prozent mit meinem Unternehmen beschäftigt. Doch das Preisgeld von 10.000 Euro haben mich dazu bewegt und entsprechend haben wir eine Bewerbung geschrieben. Und die Aussicht, ein positives oder negatives Feedback zu meiner Arbeit von Menschen zu bekommen, die mich nicht kennen, ist unbezahlbar. Ich komme aus einer Generation, die nicht gewohnt ist, sich selbst zu loben oder die eigene Arbeit ständig zu bewerten. Über die Auszeichnung „Unternehmerin des Jahres 2020/21“ freue ich mich sehr. Ich habe dadurch ein gesundes Gefühl für meine Arbeit bekommen. Diese Anerkennung hat in mir eine Tür geöffnet, die mich und das, was ich jeden Tag mit Liebe und Leidenschaft mache, nochmal mit anderen Augen betrachten lässt. Dadurch mein Führungsstil verändert.

Wie genau hat sich Ihr Führungsstil geändert?
NW:
 Wenn ich will, dass sich jemand verantwortlich fühlt, muss ich ihm Verantwortung geben. Ich muss bereit sein, Zugeständnisse zu machen und dafür sorgen, dass sich alle mit dem Unternehmen verbunden fühlen. Daran arbeite ich. Wenn ich den „Wir Faktor“ haben möchte, muss ich auch offen für die Vorschläge meiner Mitarbeiter sein. Wenn diese nicht zu mir passen, muss ich hinterfragen, warum eigentlich nicht? Und wenn es passt, auch gemeinsam neue Wege einschlagen, wie dem Wunsch einer Kollegin im Schulungsbereich ihr Wissen weiter geben zu wollen. Und wenn es nicht passt, sich besser trennen, als mit falschen Leuten zusammenzuarbeiten. Auch das habe ich gelernt: Ich gestehe mir mein Fehlverhalten ein und sage auch mal, wenn es mir nicht gut geht. Ich mache mich damit verletzbar, kann aber auch die Verletzbarkeit der Anderen besser akzeptieren.

Wie sieht für Sie ein innovativer Friseursalon aus?
NW:
 Keine Ahnung, ich habe keinen Friseursalon, ich komme aus einer anderen Ecke: Ich habe einfach verschiedene Konzepte miteinander verbunden. Ich finde Friseursalons ganz fürchterlich.

Wie das?
NW:
Ich mag es nicht, fünf laute Föhns nebeneinander zu haben und finde es grauenhaft, wenn mir Musik aufgezwungen wird. Und ich mag es gar nicht, die Gespräche anderer Gäste anhören zu müssen, das macht es für mich sehr anstrengend. Was uns sicherlich ausmacht, ist, dass wir sehr zurückhaltend arbeiten. Ich denke, es ist wichtig, von vornherein etwas so zu machen, wie man es selber gerne hätte. Wir sind alle gar nicht so einzigartig, wie wir glauben. Dementsprechend reicht es völlig, seinen eigenen Lieblingsort zu kreieren, da kommen dann schon genügend Gleichgesinnte.

Wie definieren Sie Dienstleistung?
NW:
 Dienstleistung heißt jemand gerne dienlich sein. Und wenn man das nicht gerne tut, sollte man es schleunigst sein lassen. Ich bin wahnsinnig gerne dienlich, weil es mich froh macht.

Ich bedanke mich für das ehrliche Gespräch und wünsche weiterhin viel Erfolg mit Dienstleistung, die Freude macht.